Die traditionelle Linnebauer Fahrt in Herford gehört regelmäßig zu den Pflichtterminen im Oldtimer-Rallye-Kalender. Recht früh im Jahr findet hier normalerweise so etwas wie ein Saisonstart statt. Gerne auch bei Schneegraupel und Minusgraden. Besonders hervorheben muss man auch den Umstand, dass die Linnenbauer Fahrt die fast einzige Oldtimer-Rallye ist, die auch in den Corona-Jahren 2020 und 2021 mit sog. „Kontaktlos-Konzepten“ am Start war. Absagen kann jeder, aber in Herford wird das Ding durchgezogen, trotz kleinem Virus und großem Buhei. Das ist echter Enthusiasmus und Durchsetzungsfähigkeit. So ging es auch 2022 an den Start: wieder am BildungsCampus und wieder mehr-oder-weniger „kontaktlos“ (u.a. Essen am Fahrzeug und keine Vor-Ort-Siegerehrung). Das muss aber kein Verlust sein, wenn man das aktuelle Desaster bei der WLF bedenkt. Anno 2022 dankte der Wettergott soviel Oldtimer-Leidenschaft mit bestem Sonnenwetter.
Für 2022 habe ich mich entschieden, nicht mehr – wie bisher – touristisch oder tourensportlich (der ADAC kann sich nicht zu einer Eindeutigkeit durchringen…) zu fahren, sondern den OWL Cup und auch den Classic Revival Pokal „sportlich“ anzugehen. Zum einen gibt es einfach zu viele Fahrten, bei denen touristisch/tourensportlich zu wenig passiert (Bielefeld, Oelde…) und es dann immer wieder nur auf die GLP-Zeiten ankommt. Zum anderen: wenn man drei mal hintereinander Platz 2 in der Cup-Wertung erreicht, dann ist es vielleicht auch einmal Zeit für neue Herausforderungen… Insofern war die Linnenbauer Fahrt dieses Jahr eine Premiere für uns. Relativ neues Team, und dann direkt sportlich. Der Fahrer auf einem „fremden“ Fahrzeug…
Der organisatorische Rahmen der Linnenbauer war analog der Vorjahre: Start, Mittagspause und Ziel am BildungsCampus. D.h. zwei Schleifen: vormittags und nachmittags auf relativ bekannten Pfaden. Die Fahrerbesprechung entfiel. Man fuhr auf den Parkplatz und bekam, anders als in den Vorjahren, sein Frühstück nicht ans Auto gebracht, sondern im großen Karton in das Auto überreicht. Kaffee und belegte Brötchen in hoher Qualität, alles sehr professionel gemacht. Es folgte das übliche „Aufgerödel“ des Equipments, das Anbringen der Startnummer, wobei man dann den Kaffee geniessen konnte.
Dann gab es 15 Minuten vor der Startzeit endlich das Roadbook. Schneller Blick.. und es zeigte sich die schon recht bekannte Mischung der (sportlichen) Aufgaben: Fahren (fast) komplett nach Karte mit roten Aufgabenteilen, speziellen Aufgaben (Barrikade, Grenzannäherung, Koordinatensystem mit Himmelsrichtungen) sowie „normalen“ Ori-Aufgaben mit Kreuzungsverbot, Einbahnstrassensystem, etc. Und nicht zu vergessen, den typischen Herforder „Ecken“: Kartenfehler oder Straßenverläufe, die sich in Natur und Kartendarstellung (minimalst) unterscheiden. Letztere Besonderheit aus bzw. in Herford sorgt Jahr für Jahr für „Stimmung“. Immerhin: kein langweiliges Gegurke wie anderswo! Dazu in Etappe 1 neun Zeitmessungen verteilt auf vier Wertungsprüfungen. Höchste Konzentration bei der Programmierung des RTCH! Und los geht es…
Die Verpflegung war wieder hervorragend. Trotz Kontaktlos-Konzept.
Wieder frischer Kaffee und belegte Brötchen am Start.
Leckeres Mittagessen auf Heckspoiler serviert.
Am Ziel gab es Abends noch Getränke auf
Kosten des Organisators. Klasse.
Der BildungsCampus zeigte sich dieses Jahr in einem desolaten Zustand. Eine komplette Baustelle. So konnte auch die WP 1 nicht so ausführlich wie in den Vorjahren gestaltet werden. Besser wäre noch gewesen, hier an Ort und Stelle gar keine WP durchzuführen. Ziel 1 und 2 lagen nämlich direkt im Zufahrtsbereich der „Wanderer“ und so sollte man eng auf Zeit getaktet zwischen diversen Zuschauern, parkenden und durchfahrenden Fahrzeugen seine Sollzeit fahren. Eine sehr gefährliche Situation. Man kann von Glück sagen, dass hier kein Unfall passiert ist. Sowas muss m.E. nicht sein, das wäre organisatorisch anders zu lösen gewesen. Aber, was soll ich sagen schreiben? Genau hier ist mein Fahrer dann mit 0,08 Sek. die absolute Bestzeit gefahren. Obwohl ich als Beifahrer kurz vorm Herzinfarkt war. Adrenalin pur direkt zum Start.
Das Roadbook führte uns anschließend aus Herford heraus in die Nordschleife durch das inzw. berühmt-berüchtige „Schwarzenmoor“. Die Schleife hier war deutlich erkennbar. Direkt im Anschluss aber schon die erste sportliche Spezialaufgabe. Eine Barrikade beim schönen Ort „Führer“. Unsere Fahrt führte uns etwas in die Irre, da im Streckenverlauf die Strassen durch den Fahrtleiter manipuliert worden waren. Keine Doppellinigkeit bzw. nicht angebunden. Das habe ich dann zwar erkannt, aber ein „L“ haben wir dennoch verpasst.
Weiter nach Löhne und dort dann innerhalb der Ortschaft eine geschlängelte Orientierungsaufgabe. Nicht nur hier fielen die vielen Passagen durch Orte, Tempo 30-Zonen und über Drempel auf. Der Strassenzustand? Überwiegend desolat. Dazu etliche Passagen durch Staub und über Schotter.
Nachdem Löhne passiert war, stand die nächste etwas kniffeligere Aufgabe bei „Ellerbusch“ an. Divere kleine Aufgabenteile wollten in der richtigen Reihenfolge befahren werden. Hier hatte ich zum ersten Mal ein etwas ungutes Gefühl. Offenbar nicht nur ich: in der Musterlösung fehlte an dieser Stelle nachher ein komplettes Aufgabenteil. Der Fahrtleiter hatte zwischenzeitlich bemerkt, dass es hier offenbar keine sinnvolle Lösung gab, da wohl einige Straßen kurzfristig zu Fahrradwegen umgewidmet worden waren (?!). Danke schön für den Zeitverlust beim Grübeln und weiter! Mittels der nächsten Barrikadenaufgaben näherten wir uns den Rothenuffelner Gefilden. Das ist dort, wo es auch viele interessante und spezielle Ortsnamen gibt.
Ebenfalls sehr „speziell“, aber inzwischen schon typisch für Herford: die Sache mit dem C. Haben wir wie fast alle (?) Teilnehmer nicht gesehen und/oder nicht aufgeschrieben. Der Fahrtleiter hat hier einen „Kartenfehler“ gesehen, für den man aber vor Ort unterwegs viel Fantasie und einen guten Blick benötigt. Im linken Bild zeigt sich einmal das Kartenbild und daneben die rote Linie als „Idealstrecke“. Meiner Meinung nach wäre aber eher die gelbe Linie zu fahren gewesen. So eine Beule fahren – nein, das hätte ich auch dann nicht getan, wenn ich das C gesehen hätte. Eben Herford Spezial.
Weiter in Richtung Norden auf den Bergrücken des Wiehengebirges zu. Hier hat der Mann mit dem Hut schon schöne Ori-Aufgaben aus dem selbigen gezaubert. Heute ging es zunächst um einen Baum rum. Dann über das W zum T. Soweit ok. Dann die Schleife und man kommt wieder an diese Stelle. Warum soll man dann -laut Musterlösung – nochmal über das W fahren? Gerade hoch über die gelbe Straße zum T wäre kürzer und auch möglich, da kein Kreuzen und kein Verstoß gegen das Einbahnstraßenprinzip. Ich verstehe es nicht…
Im Nachgang habe ich dann die Erläuterung (oder auch Erleuchtung) vom Fahrtleiter erfahren. Beim dem „T“ war in der Karte nicht das Dreieck eingezeichnet, wie ich dachten so auch alle anderen Sportler, sondern es war der Höhenpunkt 159. Also gab es hier nach Karte, nicht nach Natur, eine echte Kreuzung. Daher: Kreuzungsverbot nach Karte und somit rechts den Bogen mit dem W. Hatte aber keiner richtig. Was sagt uns das? Vor Ort während der Fahrt sieht alles nun mal ganz anders aus als auf dem PC zuhause beim Fahrleiter. Formal aber korrekt, muss ich zugeben.
Langsam aber sicher geht es zurück nach Herford zur Mittagspause. Dabei begegnet uns noch eine sehr interessante und besondere Aufgabenstellung. Bestimmte Punkte in der Karte sind zu be- oder hindurch-zufahren. Das ist mal was ganz anderes und macht wirklich Spass. Es ist auch nicht so schwer, wie man zunächst vermutet. Aufpassen muss man natürlich trotzdem wie ein Luchs. So muss z.B. die DK bei „Menke“ hintenrum angefahren werden. Denn vorher nochmal „K34“ mitnehmen. Die inzwischen ebenfalls traditionelle Prüfung am/im Automobilwerk fiel diese Mal eher unspektakulär aus. Zwei Runden auf einem staubigen Schotterplatz. Naja, besser Staub als Matsch. Wenn es hier geregnet hätte. Ich sag nur: Reha-Winter-Ori 🙂
Dann musste man auf dem Rückweg nach Herford noch eine Gegenläufigkeit erkennen (die 2 auf der Autobahnbrücke) und der erste Abschnitt war geschafft!
Am Re-Start bekamen wir das Roadbook für den 2. Abschnitt. Direkt auf der erste Seite waren Teile durchgestrichen (eine WP) und es gab einen aufgetackerten Zettel in schwarz-weiß. Keine Erläuterung, keinen Begleittext, keine Fahrerbesprechung dazu. Am Startbogen haben wir nachgefragt, wie wir damit verfahren sollen. Antwort: „Aufgabe ignorieren, einfach weiterfahren – Aufgabe nicht fahrbar wegen Baustelle“. Ok. Also sind wir nach dem Kreisverkehr gerade aus geblieben und nicht in das Gewerbegebiet abgebogen. Im Nachhinein sehe ich, dass hier zwei Kontrollen standen und auch gewertet werden sollen (T und C). Offenbar sollte man den schwarzen Pfeil im aufgetackerten Zettel fahren. Dann hätte da wenigstens ein Hinweis drauf gehört „neue Streckenführung“ – oder so. Oder eine Erläuterung beim Start… Schöner Mist, denn diese Aufgaben hätten wir sonst fehlerfrei gelöst.
In Aufgabe 16 direkt die nächste WP. Dieses Mal mit 3 Lichtschranken und Sollzeiten von 2 Min., 25 Sek., 25 Sek. – Sollte schaffbar sein. Ziel 1-Lichtschranke war schräg anzufahren, also etwas kniffelig, aber ging noch. Dann in 25 Sekunden zu Ziel 2 auf einer Art Zementwerk-Betriebsgelände. Durchfahrt der Lichtschranke und Drehen zwecks erneuter Durchfahrt, wieder nach 25 Sekunden als Ziel 3. Aber was macht mein Fahrer! Er wendet gemächlich und will NEBEN der Lichtschranke raus fahren. Entsetzen beim Beifahrer und ein Schreikrampf. Das darf doch wohl nicht wahr sein!!! Kleines Wortgefecht. Rückwärtsgang rein und doch einigermaßen pünktlich durch die Lichtschranke (lt. Ergebnisliste 0,32 Sekunden Abweichung…). 5 Lebens-jahre verloren. Mann, mann, mann. Das muss besser werden. Im Anschluss der nächste Adrenalinschub: die geheime 10-Sekunden-WP, erkennbar am grünen Schild. Diese stand aber absolut fair und total zerlegt haben wir uns hier (hoffentlich) nicht (Nachtrag: Hier 0,38 Sek. gefahren).
Ich überschlage nun das Deaster in der „Feldmark“ (kürzeste Strecke nicht erkannt) und komme auf die lustigen Ortsnamen zurück. Ein Nieder-Fickum befährt man sonst auch eher selten. Aber Moment, hier gab es doch tatsächlich eine Fahrtleitermarkierung. Tja, Kopfkino des Beifahrers 🙂
Es sollten noch zwei weitere interessante Aufgabenteile folgen. Eine Aufgaben mit Koordinatensystem und Himmelsrichtungen. Diese Art der Aufgabenstellung habe ich zum ersten Mal bei der virtuellen HERO Fahrt in Großbritannien anno 2020 kennengelernt. Auch speziell, aber durchaus gut lösbar, wenn man sich konzentriert und etwas Zeit nimmt.
Eine weitere Barrikade lauerte auf uns und dann ging es wieder zurück in Richtung Herford. Die Zementaufgaben sollten noch einmal gefahren werden: 2.00 + 0.25 + 0.25. Dieses Mal ohne x-trem Stunt, aber auch ohne die Schleife hinter dem Schrott gefahren zu sein… oje…
Auf dem Werksgelände von Frigo Speed gab es noch eine Chinesenrallye mit virtuellen Anteilen. Denn auf einem großen Parkplatz musste man sich laut Karte die Strassen „denken“ und korrekt befahren. So war das auch letztes Jahr auf dem Gelände der Strassenmeisterei, dieses Mal aber etwas einfacher. Und während ich mich letztes Jahr von der Hektik vor Ort habe anstecken lassen, ging dieses Mal alles glatt.Transportetappe durch Bad Salzufflen zurück und endlich im Ziel. Hier hing schon die erste Version der Bordkarten für die Etappe 1 (der Remix folgte später online) und vor allem gab es ein Bierzelt mit Frei-Getränken für die Teilnehmer. Sehr schön! Auch sehr schön die Flasche Sekt, die man noch statt einer „Glasscherbe“ bekam. Sogar mit passender Banderole. Tres chic.
Fazit:
Wieder eine sehr professionell organisierte Linnenbauer Fahrt mit einem bemerkenswert hohen Helfereinsatz (DK, WP). Die Verpflegung war klasse und das Ambiente stimmte, auch wenn der BildungsCampus als Baustelle weniger überzeugen konnte. Sehr schöne Streckenführung. Die sportlichen Aufgaben (Barrikade, Grenzannäherung, Kompass, etc.) haben mir sehr gut gefallen. Mal was anderes! Noch schöner, dass wir diese auch fast komplett richtig gelöst haben. Jörg ist mit einem fremden Auto auf Anhieb super Zeiten gefahren. Allerdings fand ich die WP insgesamt eher ungünstig platziert (Teilnehmerverkehr, Schotter, Staub). Die besonderen Ori-Aufgaben haben wir gut gelöst, aber dafür wieder einmal bei der „Kürzesten Strecke“ etwas geschwächelt und bei den speziellen Spezialstellen auch mal zugelangt – die fand ich z.T. schon etwas grenzwertig. Ich sag nur: ich kaufe ein C. Aber! Das ist allemal besser als zig Stunden rumgegurke, ohne das viel passiert, so wie bei einschlägigen anderen Fahrten, die ich hier nicht nennen brauche. Es wird seinen Grund haben, dass die Linnenbauer Fahrt auch dieses Jahr wieder annähernd 100 Teilnehmer hatte. Wir sind auch wieder gerne dabei!
Nachtrag 1: Die online ausgehängten Musterbordkarten und -lösungen waren interessant, aber auch etwas verwirrend. Z.T. gab es Inkonsistenzen, da Kontrollen neutralisiert wurden und dann in der Musterbordkarte gar nicht mehr aufgeführt wurden. Da dachte man direkt, man hätte einen Fehler. Sehr positiv hervorheben möchte ich die faire Aus-/Bewertung und die aufwändige und individuelle Betreuung im Zeitfenster zwischen Zieleinlauf und Ergebnisaushang. Was ich z.T. kritisiere, kann man auch positiv sehen: der Fahrtleiter steht hier zu seinen Aufgaben und lässt sich nicht durch die interessierten Teilnehmer „runterhandeln“. Das ist auch eine gerade Linie, selbst wenn ich die Aussage, dass mein Gesicht noch nach Tourist aussieht, erst mal weiter verarbeiten muss 🙂
Nachtrag 2: Am Mittwoch nach der Fahrt wurden die finalen Ergebnislisten online veröffentlicht. Auch hier zeigt sich die Erfahrung der Veranstalter. Nicht direkt zack-zack online stellen, um dann immer wieder zu korrigieren. Nein, hier kann man davon ausgehen, dass die Ergebnisliste so auch Bestand hat. Wir freuen uns über den 2. Platz in der Klasse und den 7. Platz gesamt. Das Ziel, bei unserer ersten sportlichen Fahrt unter die Top 10 zu kommen, das haben wir erreicht. Und zudem noch einige „Prominenz“ überflügelt. Was man noch sagen kann, hier in Herford zählen alle Aufgaben: Ori, GLP, ZK. Selbst die Nr. 1 hatte noch insgesamt 4 Fehler in der Bordkarte. Genau das war ja unser Grund, nach sportlich zu wechseln. Also, alles gut.