Die 6 Brücken Tour, oder wie die zweiwöchige Veranstaltung offiziell heißt: „Six Bridges Rally“, war in jeder Hinsicht ein Erlebnis. 42 Teams, davon 5 Motorräder (!) waren am 11. September an der Müngstener Brücke zwischen Remscheid und Solingen an den Start gegangen und wollten 6.000 Kilometer durch 9 Länder in 16 Tagen fahren.

Die Idee zu dieser Mammut-Veranstaltung hatten zwei Solinger mit Rallyeerfahrung. Marc Baehr und Timm Kronenberg möchten mit der Tour nicht nur auf die wunderschönen Stahlbrückenkonstruktionen aufmerksam machen, sondern auch dahingehend unterstützen, dass diese Eisenbahnbrücken in den Kreis der Weltkulturerbestätten aufgenommen werden. Dies soll in ein paar Jahren der Fall sein. 2017 wurde für die Müngstener Brücke ein entsprechender Antrag gestellt und diesem hatten sich spontan 5 weitere Brücken, die alle irgendwie mit ihrem Konstrukteur Gustave Eiffel verbunden sind angeschlossen. Ja, es ist genau dieser Herr Eiffel, der auch den berühmten Stahl-Turm in Paris gebaut hat.

Ich musste nicht lange überlegen, als mich Klaus Picard Ende April fragte, ob ich Zeit und Lust hätte, ihn auf dieser Tour zu begleiten. Natürlich sagte ich zu. Allerdings zwangen uns ein paar unaufschiebbare private Termine und unser nicht mehr so geringes Alter dazu, den Veranstalter zu fragen, ob wir nicht auch nur eine Teilstrecke mitfahren könnten. Das hatten die Organisatoren aus Solingen aber in ihrer Ausschreibung bereits vorgesehen und somit gab es damit kein Problem.

Zum Start am 11.9.2021 um 11 Uhr unter der Brücke in Müngsten waren wir dabei und wollten uns dann knapp eine Woche später mit den übrigen Teilnehmern in Südfrankreich, genau gesagt am Garabit Viadukt treffen.

Also starteten wir morgens Richtung Dijon in Frankreich, wo wir einen Zwischenstopp einlegten, um am nächsten Tag gut 450 Kilometer weiter südlich zu den anderen Teilnehmern zu stoßen. Diese trudelten im Laufe des Nachmittags nach und nach in der Nähe von Saint Flour in der Auvergne, bzw. am Garabit Viadukt ein. Dort stand schon der 6 Bridges Rally Bogen, um alle Teilnehmer am Zwischenziel willkommen zu heißen. Mit einem kühlen Getränk, einem Café und einem außergewöhnlich leckeren Aprikosenkuchen waren die ersten Strapazen an diesem Tag schnell vergessen. Die anderen hatten ja schon einige Kilometer mehr in den Knochen. Aber auch eine große und unvergessliche Party auf einem Schloß in der Nähe von Bordeaux erlebt.

Die Organisatoren an der Garabit Brücke hatten für alle Teilnehmer sogar eine kleine Bootsfahrt auf der angestauten Truyère unter der Brücke hindurch organisiert. Dabei konnte man spektakuläre Bilder schießen. Am Abend gab es noch eine Aufführung der örtlichen Trachtengruppe und einen kleinen Imbiss mit regionalen Spezialitäten.

Die Route mussten alle Teilnehmer frei wählen und jeder konnte für sich die optimale Strecke zwischen den einzelnen Brücken fahren. Schade nur, dass man dabei sehr wenige Berührungspunkte mit den anderen Teams hatte. Diese gab es dann aber immer, wenn eine der vielen Aufgaben zu lösen war. Am Garabit Viadukt sollte die rote Brücke in der Abenddämmerung, bzw. im Sonnenuntergang fotografiert werden. Das gelang mehr oder weniger gut. Da die Tagesetappen immer zwischen 350-400 Km lang waren, wobei ausschließlich Landstraßen befahren werden mussten, hieß es für uns früh schlafen gehen. Das fiel nach dem Genuss eines ausgezeichneten französischen Essens mit entsprechendem Wein auch gar nicht schwer.

Am nächsten Tag hieß unser Ziel Besançon. Diese schöne Stadt mit einer imposanten Festung liegt in den Ausläufern des französischen Jura. Auf dem Weg dorthin mussten wir in Chalon-sur-Saône zunächst das „Musée Nicéphore Niépce“, ein interaktives Museum für Fotografie ausfindig machen. Eine Adresse war im knapp 100 Seiten starken Bordbuch nämlich nicht zu finden! Aber das gelang ganz gut und wir lasen dann im Bordbuch gleich die nächste Aufgabe: „Stellen Sie am Eingang des Museums die berühmte Szene eines weltbekannten Fotos nach.“ Puh, was war denn damit wohl gemeint. Klaus bemerkte: „müssen wir da nicht vorher noch in die Maske?“

Berühmte Fotos? Da fiel uns z.B. Einstein ein, der die Zunge herausstreckt, oder die Monroe mit ihrem aufgeblähten Kleid über einem Luftschacht. Der Soldat, der über den Stacheldraht springt … Am Museum angekommen, waren schon einige Teams vor Ort. Ich sah herausgestreckte Zungen, ein Liebespaar, dass intensiv knutschte und so weiter. Daher wählte ich für unser Foto „Sitting Bull“, den berühmten Indianer und stellte mich also mit der flachen Hand vor der Stirn entsprechend in Szene. Gut, dass die anderen das Foto machen konnten…

Die nächste Aufgabe war dann auf dem Weg in‘s Jura bei Besançon zu lösen: Fotografieren Sie das Haus der Direktoren in der königlichen Saline von Arc-et-Senans. Es ist eines der eindrucksvollsten Bauwerke Frankreichs und natürlich Weltkulturerbe. Der Architekt Claude-Nicolas Ledoux realisierte bereits im 18. Jahrhundert das Ideal einer industriell genutzten Saline, wobei das prächtige, quadratische Direktorenhaus mit seinen massiven Rustika-Säulen den Mittelpunkt bildet. Dort angekommen, trafen wir auf andere Teilnehmer, die in einem kleinen Café gegenüber ihren „Petit Cafe“ oder ein Erfrischungsgetränk genossen.

Ich machte mich auf zur Saline und musste enttäuscht feststellen, dass das abzulichtende Objekt sehr weit hinter dem verschlossenen Tor stand. OK, da hätte man hindurch fotografieren können, aber dann wäre das Haus auf dem Bild soooo klein! Dank meiner Kenntnisse der französischen Sprache, öffnete mir die attraktive, junge Französin, die ansonsten die Eintrittskarten zur Saline verkauft, das Eisentor in der Pforte und so kam ich, glücklicherweise auch noch kostenfrei, ziemlich nahe an das Haus der Direktoren heran…

Nach der Übernachtung in Besançon hieß das nächste Tagesziel St. Avold im Département Moselle in der Nähe von Saarbrücken, also mitten in einer ehemals stark umkämpften Bergbau-Region. Wie hatten die Organisatoren doch noch beim Start bemerkt: „In Europa und der Welt müssen wir näher zusammenrücken und die interkulturelle Verbindung fördern.“ Das gilt sicher ganz besonders für das Elsass, eine der -nach meiner Meinung- schönsten Regionen Frankreichs, die aber in der Geschichte immer wieder wechselte und mal zu Frankreich oder mal zu Deutschland gehörte. Davon zeugen heute z.B. noch sehr viele inzwischen „verfranzösischte“ Ortsnamen wie z.B. Ensisheim, Guebwiller, Hartmannwiller, Muntzenheim, etc.

Unsere erste Aufgabe an diesem Tag war, die historischen Häuser im Ortsteil „La Petite Venise“ (das kleine Venedig) an der Lauch zu fotografieren. Das war leichter gesagt als getan, denn Parken in Colmar ist ein Abenteuer, insbesondere mit unserem großen 600er. Egal, auch das wurde geschafft und wir konnten die Bilder sogar noch in einem Fotogeschäft entwickeln lassen, da diese ja als Ausdruck in das Bordbuch, oder nennen wir es besser Aufgabenbuch, geklebt werden mussten…

Die nächste Aufgabe wartete schon: „Fahren Sie über vier Pässe, die einen Teil der Route des Crêtes bilden (Col de la Schlucht, Col du Lauschberg, Col des Bagenelles und Col de Fouchy) und addieren Sie deren Höhen, die zwischen 600 und knapp 1.000 Metern lagen. Alles musste im Bordbuch peinlichst genau notiert werden. Dabei durften wir über einen Druckfehler im Bordbuch schmunzeln, der den Col de Bagenelles als Col de Bagatelles bezeichnete.

Von Fouchy am Fuß des letzten Passes, ging es (leider nicht über den Odilienberg) nach Molsheim. Autokenner schnalzen bei diesem Ortsnamen mit der Zunge. So auch wir. Die Aufgabe konnten wir sogar ohne vor Ort sein zu müssen lösen: Typ 35 C. Gefragt wurde nach dem erfolgreichsten Rennwagen, der 1927 schon über 200 Km/h schnell fahren konnte und mehr als 2.000 Rennsiege feierte. Natürlich war es ein Bugatti! Der Typ 35 C leistete dank Kompressor 125 PS, war 150 cm breit und brachte leer 750 kg auf die Waage. Der Wagen kostete damals 25.400 RM. Im Parc des Jésuites in Molsheim stehen zwei Bronze Plastiken. Eine vom Rennwagen Type 35 und eine von Ettore Bugatti, der ein französischer Automobilfabrikant und Konstrukteur italienischer Herkunft war. Die von ihm gegründete Firma Bugatti mit der Produktion in Molsheim gehört mit ihren Renn-, Sport- und Luxuswagen zu den legendären Automobilherstellern der europäischen Geschichte. Was nicht viele wissen ist, dass er auch Pferdeliebhaber war und seine Vollblüter selbst züchtete. Die Türen seiner Werkshallen ersetzte er in den 1930er Jahren durch Schlossplatten, welche Pferde mit ihrer Nase durch Drücken öffnen konnten. Nach seinen morgendlichen Ausritten besuchte er auf dem Pferd sitzend die Arbeiter in den Werkshallen. Er hatte eine schillernde, aber auch launenhafte Persönlichkeit. Rennfahrer, die ihm gegenüber nicht genug demütig und höflich waren, verschmähte er genauso wie Manieren-lose Kunden. Daher bekam nicht jeder, der sich einen Bugatti leisten konnte, auch einen.

Nach einer weiteren Übernachtung in St. Avold sollten wir am nächsten Tag zum Europa-Denkmal in Schengen fahren. Doch wir wollten uns natürlich vorher noch stärken. Zu unserer Überraschung gab es im Hotel jedoch kein Restaurant, aber nebenan im Hotel sollte es eines geben. OK, wir nahmen die 100 Meter zum „Essen fassen“ auf uns und staunten nicht schlecht, als wir dort ein paar Teams der Rallye trafen. Die hatten es sich im Restaurant schon gemütlich gemacht. Aber außer leeren, halbvollen und vollen Bier- und Weingläsern sahen wir nicht viel, auch keine Kellner oder so…

Das Restaurant ist am Wochenende nämlich auch geschlossen. So ein Mist! Aber wir folgen der Information eines Motorradfahrers, der sich schon eine Pizza hatte liefern lassen, die super gut geschmeckt haben sollte. Pizza in Frankreich? Na ja. Wir haben dann schnell eine Bestellung bei der freundlichen Dame an der Rezeption abgegeben und uns auf das Essen gefreut. Schließlich wollten wir vor der letzten Etappe noch ein paar Stunden schlafen. Es dauerte fast 2 Stunden, ehe das runde Essvergnügen geliefert wurde. Sehr zu unserem Missfallen, dass anstelle der „normalen“ Dimension riesig große, 4-eckige Familien Pizzen geliefert wurden. Egal. Satt sind wir jedenfalls geworden! Und riesig Spaß hatten wir an diesem Abend auch. Schließlich hatten wir alle etwas zu erzählen!

Von St. Avold fuhren wir dann am nächsten Tag weiter über Landstraßen nach Schengen um am dortigen Europa Museum, bzw. den davor befindlichen Säulen aufzuschreiben, welche Symbole denn wohl am deutschen Stern zu erkennen waren. Neben dem Kölner Dom, dem Brandenburger Tor und zwei Fußbällen waren unter anderem noch ein (wohl typisch deutscher) Gartenzwerg, ein Ampelmännchen und ein paar (Mercedes-) Sterne zu sehen.

Über Trier, wo wir die Porta Nigra „künstlerisch“ in das Bordbuch malen sollten und Aachen ging es zurück in die Heimat. Nicht ohne in Aachen den Dom, natürlich Weltkulturerbe, zu besuchen und die berühmten Printen zu kaufen. Kaufen mussten wir diese Dinger, weil das Etikett der Verpackung als vorletzte Aufgabe in das Bordbuch geklebt werden musste…Zur Erklärung: Printen sind eine spezielle Sorte des braunen Lebkuchens, die entweder weich oder auch hart sein können. Bereits seit 1820 wird diese Leckerei in Aachen gebacken und nur die dort oder in den Nachbarortschaften hergestellten Printen dürfen als Aachener Printen bezeichnet werden. Allerdings liegt der eigentliche Ursprung der Aachener Printen gar nicht in Aachen, sondern in Belgien. Mittlerweile ist die Bekanntheit der Aachener Printen aber so groß, dass sie zu den wenigen von der EU zertifizierten Produkten mit geschützter geografischer Angabe gehören.

Von Aachen ging es durch das Braunkohlegebiet und am Tagebau Hambach vorbei zur Rheinfähre in Langel, mit der wir nach Hitdorf übersetzen mussten, da wir das Ticket als letzte „Aufgabe“ in das Bordbuch kleben mussten.

Nun aber schnell nach Solingen und zur Müngstener Brücke. Uns blieb noch Zeit, unsere Stimme zur Bundestagswahl abgeben zu können, ehe wir zwanzig Minuten zu früh in Müngsten eintrafen. Ab 16 Uhr wartete dort auf uns der große Bahnhof. Für die meisten Teilnehmer nach 2 Wochen und 6.000 Kilometern. Wie enttäuscht waren wir zusammen mit einigen anderen Teilnehmern, die schon dort warteten, als die Zufahrt durch eine Schranke noch versperrt war… Allerdings hatten sich viele Zuschauer eingefunden, die die Teilnehmer gebührend begrüßen wollten. Erst um 16 Uhr öffnete sich die Schranke und alle fuhren mehr oder weniger pünktlich durch den Zielbogen. Die Begrüßung durch die Organisatoren und den stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Solingen war herzlich, aber uns fehlte etwas!

Ein Gläschen Sekt zum Empfang hätte alle Teilnehmer ebenso gefreut, wie z.B. ein Grillstand. Aber das gab es leider nicht. Stattdessen wartete ausschließlich für die Teilnehmer eine „Bergische Kaffeetafel“ im Haus Müngsten. Na ja. Meine Vorstellung einer Bergischen Kaffeetafel (warum gehört die eigentlich nicht zu den von der EU zertifizierten Produkten mit geschützter geografischer Angabe?) sind etwas anders, aber die Waffeln mit Kirschen und Sahne waren sehr lecker!

Nächstes Jahr feiert die Müngstener Brücke ihr 125jähriges Bestehen. Da soll es wieder eine Rallye zu den 5 anderen Brücken geben. Spannend und ein Abenteuer wird das sicher wieder.

Von: Jochen Schnell