Der Berg ruft….

Die Old-/Yougtimerveranstaltungen des AMC Stemweder Berg haben eine lange Tradition. Und einen sehr guten Ruf. Dies konnten wir bei unseren Teilnahmen 2018 und 2019 bestätigen (Bericht hier). Mein Fazit „damals“ – Sicherlich eine der besten Veranstaltungen dieser Art überhaupt. Dies betraf die Strecke, die Aufgaben, das kristallklare Roadbook sowie das Flair drumherum, das Hotel Wilhelmshöhe sowie das Essen. Also im Prinzip Alles. Im Corona-Jahr des Herrn 2020 wurde die Rallye in einer veränderten, verkürzten Form durchgeführt und dieses Format wurde auch für 2021 beibehalten. Auffälligste Veränderung: Start- und Ziel ist nicht mehr auf dem namensgebenden Stemweder Berg (sondern in der Nähe), es ist nicht mehr die Stemweder Berg HISTORIC, sondern die Stemweder Berg KLASSIK – und es ist eine Parallelveranstaltung mit der „Westfalen Lippe Fahrt für Motorradveteranen“. Ob das jetzt „Corona“ geschuldet ist, lassen wir mal dahingestellt.

Aufgrund der eigenen Beschäftigung mit der Durchführung der Arnsberger Klassik konnten wir das neue Format im Vorjahr nicht ausprobieren. Teilnehmerstimmen berichteten jedoch von wesentlich einfacheren Orientierungsaufgaben und Problemen bei der Auswertung der Zeitprüfungen. Zudem sei der Fahrtleiter aufgrund einer Hochzeitsfeier (?) vor Ort gar nicht anwesend gewesen. Neue Formate brauchen manchmal eben ihre Zeit zum „Einschwingen“ und nicht jede Premiere ist ein Erfolg.

Der grundlegende Ablauf ist auch 2021 für eine Oldtimerrallye etwas ungewöhnlich: Die Strecke ist nämlich mit kleinen roten Symbolen durchgängig ausgeschildet. So kann man sich – eigentlich! – überhaupt nicht verfahren. Diese Ausschilderung kommt natürlich daher, dass die Motorräder die gleiche Strecke fahren – und bei Motorradausfahrten ist eine solche Kennzeichnung absolut üblich. Während also auf diesen Streckenteilen überhaupt nichts passiert, gibt es für die Wertung bei den PKW insgesamt 4 Sollzeitprüfungen und zwei Orientierungsetappen. Ganze ZWEI Orientierungsetappe auf 105 km Strecke ist natürlich ein bisschen wenig… Man erkennt aber auch an der Streckenlänge (normal sind eher so 150 bis 180 km) dass wir es hier mit einer verkürzten Halbtagesfahrt zu tun haben. Das muss nicht schlecht sein, denn schon H.-J. Kirschbaum hat ja vor geraumer Zeit geschrieben, dass den kompakten Veranstaltungen seiner Meinung nach die Zukunft gehört.

Als Halbtagesveranstaltung war der Start des 1. Fahrzeuges (bei den PKW, nicht den Motorrädern) um 11.51 Uhr. Also quasi um High Noon. Als ich gegen 10 Uhr das Lokal erreichte, waren trotzdem schon fast alle da… Irgendwie hat das typische Rallye-Publikum senile Bettflucht und will vor allem nicht zu spät zum Frühstück kommen. Das Frühstück hat allerdings auch eine extra Erwähnung verdient, auch wenn das hier ja kein Gourmet-Guide ist. Es stand da zwar wieder „Rustikales Frühstück“ in der Ausschreibung, aber es war ein Buffet vom Feinsten inkl. Obstsalat, Krabben, Fisch, Canapees etc. – Toll.

So konnten wir uns dann frisch gestärkt auf die Reise machen – zunächst geleitet durch die kleinen roten Symbole. Das zugrunde liegende Kartenmaterial hatte zwar einen sehr kleinen Maßstab, war aber wie in den Vorjahren kristallklar und von hervorragender Druckqualität (Tipp an Ahaus, hier mal nachfragen). Gleich mit dem Start begann auch die erste Lang-WP über 7,4 Km in 13:40 Min. Der hier ausgewiesene Schnitt von 36 km/h war allerdings nicht korrekt, was aber kein Problem darstellte. Direkt danach bekam man an einer DK die Aufgaben für die erste Orientierungsetappe „Muttenort“ in das Fahrzeug gereicht. Auch hier überzeugte die bestechende Druckqualität der Karten. Die Aufgabenstellungen an sich setzten erkennbar auf Fehler bei der Gegenläufigkeit, waren aber eher harmlos-mittelschwer.

Weniger harmlos waren die Landmaschinen, die unterwegs waren. Diese fuhren nicht nur langsam vor einem, sondern blockierten an einer Stelle auch den Weg. Und hierbei handelte es sich nicht um ordinäre Traktoren, sondern Futtermittelgewinnungsfabriken auf riesigen Rädern. Nachdem uns Startnummer 5 rechts über das Feld überholte, wagten auch wir das Manöver halb durch den Graben. Einmal wie immer ist die Auslegung des Fahrzeuges für Rundstreckenrennen nicht wirklich ideal… Hat aber geklappt und so ging es mit zügiger Fahrt weiter. Diese war auch erforderlich, denn die Sollzeit bis zur ZK 1 war doch recht knapp bemessen. Am Schloss Hüffe kamen wir mit knapp 3 Min. Vorzeit an, also gerade noch rechtzeitig. Andere Teams hatten hier mehr Zeitnot. Die Wertung für diese ZK wurde am Abend neutralisiert, angeblich wegen „einiger Behinderungen“. Das mag zwar stimmen, aber es gab keinen Unfall oder eine Panne oder so. Landmaschinen gehören eigentlich zum Lebensrisiko bei einer Rallye. Kann man so oder so sehen. Ich finde es grenzwertig, denn es werden die Teams belohnt, die gebummelt oder sich verfahren und dann protestiert haben. Naja. Die Wertung auf den vorderen Plätzen hat es m.E. jedoch nicht beeinflusst.

Landmaschine voraus! In die Eisen! Startnummer 5 hat
hier schon die Strecke übers Feld genommen.

Nach ZK 1 hatte man dann wieder 60 Minuten Zeit bis zur „Mittagspause“ in Espelkamp, ohne weitere OE-Aufgabe und „nur“ mit einer Kurz-WP über 70 Meter. Jetzt war die Zeit sehr großzügig bemessen und beim Eintreffen in Espelkamp hatten wir ca. 30 Minuten Vorzeit. Wie kann das sein?

Espelkamp ist ein merkwürdiger Ort. Man denkt, man fährt in die DDR der 80er Jahre ein. Allerdings eine super restaurierte DDR, ohne Verfall, aber mit der eindeutigen Plattenbau-Architektur. Nun, wir sind durch wunderschöne kleine Orte mit Mühlen und Fachwerk gefahren, an Schlössern vorbei – und dann machen wir hier Pause? Was wir nicht wussten: Espelkamp hat eine einschlägige, durchaus interessante Geschichte (hier zum Nachlesen).

Da es in der Pause nur ein Kaltgetränk aus dem Folienpack gab, haben wir das lokale Eiscafe mit Ostblock-Charme besucht. Das Eis war aber sehr lecker und die Leute sehr nett! Weniger „nett“ war das latente organisatorische Chaos beim Einfahren, Parken und beim Re-Start. Es ist auch nicht ganz so einfach, Motorräder und PKW unter einen Hut zu bekommen. Die Einweiser wirkten nicht ganz „sattelfest“ und Teilnehmer blockierten z.T. die ZK-Stelle.

Parkhektik vor ZK Mittagspause.

Ganz lieblich.

Mal überlegen: Weser-Renaissance
oder doch Zuckerbäcker-Stil?

Die zweite Hälfte der Fahrt umfasste wieder zwei Abschnitte á 60 Minuten sowie 2 WP und 1 Orientierungsetappe. Letztere setzte erneut auf Gegenläufigkeitsfallen und war wirklich gut gemacht. Die Kontrollen waren sehr ökonomisch platziert und eigentlich auch nicht zu übersehen. Die Falle bei der „48“ war ebenfalls gut gemacht, für „alte Hasen“ aber auch lösbar.

Leider gab es ja in den ausgeschilderten Überführungsetappen keinerlei Kontrollen. Das nutzten einige Teilnehmer, um ganz einfach die Idealstrecke zu verlassen und auf kürzestem Weg die nächste DK oder auch ZK/GLP anzufahren (kennen wir aus Altena). Bemerkt haben wir das am Ziel GLP 4, wo eine hinter uns befindliche Startnummer plötzlich vor uns stand – und dabei auch noch direkt vor dem gelben Schild die halbe Strasse blockierte. Muss das sein?!?! Ich meine: nein. Dazu kam noch, dass zwischen dem gelben Schild und der roten Zielfahne (und Lichtschranke) ein gestrandetes Motorrad verladen wurde. Auch das sehr unglücklich.

Im Ziel hatten wir dann 28 Eintragungen in der Bordkarte. Das ist schon ordentlich für nur zwei Orientierungsaufgaben. Es gab noch etwas Irritationen bei der Anfahrt des Zielbogens (die Skizze im Bordbuch war eindeutig, aber vor Ort war die Anfahrt von der anderen Seite vorgesehen…) und dann war die Fahrt auch schon wieder vorbei. Die kurze Wartezeit bis zum Essen konnte man gut bei einem Getränk überbrücken, dann eröffnete der Spiritus Rector der Veranstaltung, Wolf Otto Weitekamp, auch schon das Buffet. Wieder einmal war das Essen am Stemweder Berg vom Feinsten. Mit gedruckter Menükarte am Tisch. Und weissen Tischdecken. Sehr stilvoll! Andere Veranstalter bitte abkucken!

Auch der Ergebnisaushang erfolgte recht zügig und weit vor Mitternacht 🙂 Wie erwartet hatten die Top Teams null Fehler in der Orientierung. Allerdings hätte ich mit mehr Null-Fehler-Ergebnissen gerechnet. Insbesondere auf der Etappe 2 hatten sich einige die 5 Fehler eingefangen. Und damit lief man dann (erwartbar) unter Ferner liefen- Ganz vorne wurde es eng, auch wenn die sagenhaften 0,43 Punkte der Startnummer 8 (Böttcher/Bäuerle) den Maßstab setzten. Wir landeten auf Platz 4 gesamt, mit Rückstand auf Platz 3 von 0,01 und auf Platz 2 mit 0,10 Sekunden. Neben echtem Können und viel Übung ist hier dann auch Glück dabei.

Fazit:

Auch im neuen, kürzeren Format ist die Stemweder Berg Klassik (nicht mehr Historic) eine sehr gelungene und überaus stilvolle Veranstaltung. Kleinere organisatorische Rumpeligkeiten fallen da nicht so ins Gewicht. Von „Corona“ hat man als Teilnehmer bis auf sporadisches Maskentragen eigentlich nix gemerkt (es sei denn man ist der Herrscher der Corona-Schnelltests…). Die Verpflegung setzt immer noch Maßstäbe, auch wenn man leider nicht mehr auf der Wilhelmshöhe diniert. Die Überbrückungsetappen mit der Ausschilderung waren von der Strecke her wunderschön. Aber der Veranstalter sollte auch hier zumindest einige wenige geheime DK Kontrollen einbauen, damit Teilnehmer nicht einfach ungestraft abkürzen können.

Die Streckenlänge von ca. 100 km auf 4 Stunden Fahrzeit hat uns voll überzeugt. Kein Aufstehen morgens kurz nach halb 6 und kein Ausharren bis kurz vor Mitternacht. Sehr familienfreundlich. Insofern geben wir Herrn „Kirsche“ (siehe Einleitung oben) absolut Recht: solchen Veranstaltungen sollte die Zukunft gehören. Auch wenn wir uns ein wenig mehr Anspruch in den Ori-Etappen gewünscht hätten… gerne weiter so.

Dr. No hat wieder einmal sehr schöne Bilder gemacht und in seinen Blog eingestellt. Ist eine kleine Serie geworden.

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5