Die virtuelle Frühlingsfahrt (VFF) im April/Mai 2020 war die erste virtuelle Ori (in Deutschland), die in Folge der „Corona-Krise“ als Ersatz für echte Veranstaltungen durchgeführt wurde. In der Folge gab es weitere virtuelle Fahrten am PC… Ahaus, Roemeryke Berge… und auch die eco-Ori-Challenge zählt dazu. Eigentlich ist sie in direkter Folge zur VFF entstanden, findet aber „erst“ im Juni statt. Ingo Buck veranstaltet seit einigen Jahren in Schleswig-Holstein Orientierungsfahrten für Elektroautos und war auch Teilnehmer der VVF, die er immerhin auf Platz 31 beendete (das hat hier nicht jeder geschafft….) – So entstand die Idee zur rein virtuellen eco-Ori-Challenge mit zero Emission.
Beim Fahrtleiter der VFF, Peter Beckers, hat sich Ingo Buck auch den Ori Ratgeber besorgt und zu einem 45-seitigen Kompendium ausgebaut… Hier sind demnach so fast alle Ori-Regeln und mehr aufgeführt, auch Zeitprüfungen, die ja rein virtuell kaum stattfinden werden. Der Becker´sche Ratgeber wurde also noch mal „gepimpt“ mit weiteren Bestandteilen. Für die Ori Challenge bestand die Herausforderung darin, die konkreten relevanten Regelungen herauszufiltern, die zur Lösung der jeweiligen Aufgabe nötig sind.
Anders als bei der VVF findet die Kommunikation bei der eco-Ori ausschliesslich per Email statt. Es gibt keine Internet- und auch keine Facebook-Seite. Mit 62 Teilnehmern liegt die Beteiligung ähnlich hoch wie in Ahaus. Es gibt zwei Etappen mit mehreren Aufgaben, für die man analog zur VFF ein „verlängertes Wochenende“ Zeit hat (Freitag bis Mittwoch).
Etappe 1
Nach den anstrengenden Wochen der VVF, parallel noch die britische HERO- Fahrt mitgemacht (ja, selbst Schuld), hatte ich eigentlich nur wenig Lust auf eine weitere Ori-Schlacht mit Mikroskopen, Rätselaufgaben und enttäuschenden Platzierungen. Genannt hatte ich jedoch schon und reinkucken muss man dann ja doch…Siehe da… ganz interessant…
Allerdings war direkt die Aufgabe 1 in einem Gewerbegebiet eine echte Herausforderung. Man sollte Pfeil A fahren, dann die „Zeichenaufgaben 2“ und dann einen Pfeilwurm. Also ganz schön viel exotisches Getier zum Start. Denn da lauerte auch eine fischgrätige Chinese, wie sie neuerdings immer mehr in Mode kommt (habe ich zum ersten Mal bei der Rallye Ruhrgebiet Klassik 2016 angetroffen, siehe Tour_de_Ruhr).
Weiterhin waren einzelnen Chinesen gespiegelt und gedreht.. das kennt man. Nur: Wenn das erste Zeichen eine Fischgräte sein sollte, dann konnte Zeichen 4 nicht passen. Hin und her überlegt. Dann die Aufgabe retrograd vom Kreisverkehr aus gelöst.. auch nur virtuell möglich… Auch danach musste vorne ein Fehler sein, Zeichen 1 oder 4 – eines von beiden musste falsch sein. Vieles spricht dafür, dass es eine Fischgräte sein soll. Warum sonst fehlt der Punkt? Ein Mysterium oder ein Fehler des Fahrtleiters? Des Rätsels Lösung war das „A“ … hier musste man ganz genau hinschauen, wie diese Veranstaltermarkierung platziert war. Eine Aufgabenstellung mit doppeltem Boden. Die Teilnehmer, die die erste Falle nicht gesehen haben, wurden aber belohnt, denn sie hatten die richtige Lösung.
Danach zur Entspannung eine kleine Landetappe, bei der Einbahnstrassenprinzip und kürzeste Strecke gekonnt kombiniert wurden. In Aufgabe 3 mussten zwei Kartenskizzen kombiniert als eine Aufgabe betrachtet und gelöst werden. Auch hier kamen aus der VFF bekannte Regeln zum Einsatz. Insbesondere die Kontrollen über die Bundesstrassen sowie die Dreiecke stellen einen dabei immer wieder vor Herausforderungen. Was schreibe ich auf, wenn ich über einen Kreisverkehr auf die Bundesstrasse auffahre? Wann ist ein Dreieck ein Dreieck? Dazu gibt es im „Kompendium“ sogar Interpretationshilfen… Ich bevorzuge ein-eindeutige Regelungen…
Die Aufgaben 4 und 5 bildeten dann den Höhepunkt von Etappe 1 der eco-Ori. Es ging mitten durch Friedrichstadt und Ratzeburg. Zwei sehr schöne, norddeutsche, historische Städte, bei denen man virtuell sogar Fussgängerzonen befahren durfte… Hier kam tatsächlich ein nordliches, maritimes Flair auf. Im Detail recht schwierig, da man auch noch die in den Karten befindlichen Einbahn-strassenregelungen beachten musste. Anders als in der Realität galten diese für die Ori immer nur bis zur nächsten Kreuzung.
Ganz schön frikkelig und in Aufgabe 5 kamen dann auch noch zwei Barrikaden zum Einsatz… Trotzdem war das Anspruchsniveau – zumindest gefühlt – nicht so Gehirnzellen-zersetzend wie bei der VFF…
Habe ich gerade „Barrikaden“ geschrieben? Äh, ja. Sah so aus. Tatsächlich waren es aber Strichwürmer, die genau so aussehen wie Barrikaden und einem in der Rallye-Praxis noch nie begegnet sind. Sie bevölkern aber die virtuelle Ori-Welt. Genaues Lesen wäre auch hier von Vorteil gewesen… Aufgabe 5 hatte dann doch noch echtes Verzweiflungspotenzial und rangiert somit doch sehr nahe am VFF Niveau der Gehirnzersetzung.
Den Abschluss von Etappe 1 bildet Aufgabe 7 mit einer Runde über einen Verkehrsübungsplatz. Einen solchen hatten wir schon mal bei der Siegerland Klassik kennen lernen dürfen.. Fahrtleiter Potjans hatte damals schon großen Spass an unserer Nicht-Leistung… dieses Mal rein virtuell „fahren Sie alle freigegebenen Wege auf der kürzesten Gesamtstrecke“. Auch mal was anderes!
Pünktlich gegen 20 Uhr kam die Musterlösung (Kartenlösung und Musterbordkarte). Während die Aufgaben 1-4 und 6 weitgehend i.O. gehen – leider übersehe ich immer wieder die kürzeste Strecke – war man bei den Lösungen für die Aufgaben 5 und 7 einigermaßen verblüfft.
Fast wie erwartet, war ein Grundproblem das Kartenmaterial, das offenbar von Open Street Map stammt. Hier sind Straßen eingezeichnet, die es (real) überhaupt nicht gibt. Diese sind zum Teil sehr dünn und haben einen roten Rand. Fahrbar oder nicht? Eine Anfrage beim Fahrtleiter ergab keine eindeutige Antwort.
Weiterhin waren in der Karten z.T. auch feinste Details wie Ampeln und Einbahnstrassen-Regelungen eingezeichnet. Hier sollte man aber bei der Lösung beachten, dass die eingezeichneten Pfeile nur bis zur nächsten Kreuzung nach Karte gelten. De facto musste man also zur Lösung gegen real existierende Einbahnstrassen fahren. Auch die von der VFF bekannten Bundesstrassen-Kontrollen kamen zum Einsatz. In Aufgabe 5 musste man bei Punkt 6 um ein Dreieck fahren und quasi gleichzeitig DR und BR aufschreiben. Dann nochmal BL auf kleinestem Raum und entgegen einer EBS. Grenzwertig.
Im weiteren Verlauf der Nr. 5 wurde es dann noch „lustiger“ mit Extremformen von „kürzeste Strecke“ und den Barrikaden die eigentlich Strichwürmer sind. Dabei ging die Musterlösung über eine nicht-angebundene Strecke… Siehe Bilder rechts. Das wurde aber noch korrigiert.
Noch mehr Diskussionsbedarf entstand bei Aufgabe 7, die ging ja über den Verkehrsübungsplatz mit „kürzeste Gesamtstrecke aller befahrbaren Strassen“. Erster Streitpunkt: Lt. Musterlösung sollte man in eine Sackgasse fahren und dann wieder „rückwärts“ raus. Der Fahrtleiter erfreute sich dann daran, dass das kein Teilnehmer so hatte. Nee, wieso auch.
Wie weiter oben geschrieben, die Aufgabe 7 fand ich eigentlich ganz gut gemacht. Das betrifft aber definitiv nicht die Musterlösung. Hier gab es verschiedene Varianten und die von mir gefahrene „Lösung 1“ sollte nicht die kürzeste sein. Nachvollziehbar war das nicht mehr. Andere Teilnehmer kamen noch auf andere Lösungen, die dann in einer nachgereichten korrigierten Lösung gegenübergestellt und diskutiert wurden. Die Argumente wurden dabei immer wilder, so wurde mit dem „Grad“ in Kreisverkehren argumentiert und tabellarische Gegenüberstellungen verwendet. Wenn DAS schon nötig ist, sollte die Einsicht folgen, dass man sich bei der Aufgabenstellung bzw. Lösung verrannt hat. Bei den „echten“ Rallyes werden solche Aufgaben(teile) dann fairerweise neutralisiert.
Zwischenfazit zur Etappe 1: Bei der angekündigten Anlehnung an die VFF war klar, dass auch die eco-Rallye kein Zuckerschlecken werden würde. Das „Befahren“ der Strecke war aber angenehm „anders“. Leider konnte das Kartenmaterial aufgrund von Interpretationsspielräumen nicht überzeugen. Die Lösungen gehen insgesamt alle ok, mit Ausnahme der Aufgaben 5 und 7. Wenn man als Fahrtleiter im Zweifelsfall lieber Recht behält, statt großzügig zu neutralisieren, dann muss es böses Blut geben. Das ist unnötig.
Nach Etappe 1 war man schon relativ angestrengt, vor allem, wenn die Ergebnisse dann noch etwas niederschmetternd sind.
Und schon ging es weiter mit Etappe 2. Der erste Überflug der 6 Aufgaben zeigte ein ähnliches Bild wie der erste Teil vom Streich, jedoch gab es auch anderes Kartenmaterial und … die große Grenzannäherung als Abschluss, die natürlich von der VFF übernommen war. Zu Beginn fuhr man aber erst einmal eine Fischgräte über einen Friedhof! So rein virtuell kann ein Fahrtleiter ja viel gestalten. Eine Botschaft an die Teilnehmer?
Im weiteren Verlauf der Aufgabenstellungen zeigte sich, dass der Schwierigkeitsgrad ggü der ersten Etappe doch reduziert worden war. Immer noch musste die kürzeste Strecke streng beachtet werden, es gab jedoch keine Aufreger mehr wie Einbahnstrassen, Gradmessen oder Rückwärts ausparken.
Trotzdem konnte man natürlich wieder reichlich Fehlerpunkte sammeln. Vor allem wenn man dort Fallen vermutet, wo eigentlich keine sind (Erfahrungen aus E1). Aufgabe 3 hatte wieder touristiches Flair, da es durch Plön in der holsteinischen Schweiz ging. Hier gab es wieder erhöhtes Fehlerpotenzial durch Pfeilwürmer, Strichwürmer und Negativkontrollen. Zudem kamen wieder die Bundesstrassen-Kontrollen zum Einsatz.
Nach der Runde durch Plön waren die kombinierten Aufgaben 4a und 4b sicherlich der schwere Höhepunkt der Etappe 2. In Teil a wurde mit der „kürzesten Gesamtstrecke“ eine Spur gelegt, bei der man dann in Teil b nicht gegenläufig fahren durfte. Klar war, wenn man in Teil a daneben liegt, dann hagelt es in Teil b Fehlerpunkte. Allerdings wurde die maximale Fehlerzahl hier auf drei begrenzt, um Folgefehler nicht übermäßig zu bestrafen. Das hätte man sich für Etappe 1 zum Teil auch gewünscht…
Zum krönenden Abschluss dann die große Niedersachsen-Runde. Grenzannäherung im großen Maßstab. Einmal von Hannover aus komplett durch das Weserbergland, Göttingen und den Harz bis fast nach Helmstedt zur Zonengrenze. Die schon legendäre Eifelrunde der VFF auf norddeutsch. Wer also bei der VFF schon dabei war, kannte diese Art der Aufgabenstellung. Neben den typischen Bundesstrassenkontrollen musste man beachten, dass gerade am Ende nicht alle (scheinbaren) Kreuzungen auch tatsächlich Kreuzungen waren, und man so noch eine Schleife fahren musste.
Fazit: Etappe 2 der eco-Rallye war wieder sehr anspruchsvoll, es wurde jedoch auf die z.T. etwas polarisierenden Teile wie in E1 verzichtet. Gut so. Insgesamt kehrte etwas Müdigkeit und manchmal sogar Lustlosigkeit ein, wofür der Fahrtleiter natürlich nichts kann. Man sollte sich vielleicht einfach nicht zuviel vornehmen und wenn doch, sich dann auch die notwendige Zeit dafür nehmen. Wenn man bedenkt, dass Etappe 2 mal eben parallel zum echten Rallye-Wochenende in Aachen gelöst wurde, dann geht das Ergebnis voll ok. Mit mehr Muße wäre mehr drin gewesen, man muss halt Prioritäten setzen.
Insgesamt scheint die Zeit der virtuellen Oris aber zu Ende zu gehen. Zum einen gibt es einen Sättigungseffekt an „kürzeste Strecke“. Zum anderen werden wieder echte/reale Veranstaltungen angeboten, auch wenn diese mehr oder weniger „kontaktlos“ stattfinden müssen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an alle Clubs und Fahrtleiter, die die z.T. doch hoch komplexen virtuellen Aufgaben (und Lösungen) erstellt haben. Worüber hätte man sich sonst so schön aufregen sollen? 🙂